Bau

Welche Massnahmen sollen für mobilitätseingeschränkte Personen bei der energetischen Sanierung umgesetzt werden?

Wenn energetisch saniert wird, ist das oft ein guter Moment darüber nachzudenken, ob im gleichen Zug auch Massnahmen für mobilitätseingeschränkte Menschen umgesetzt werden können. Dieser Beitrag erläutert, wer von hindernisfreien Lösungen profitiert und klärt über die wichtigsten gesetzlichen Rahmenbedingungen auf.

1. Wer profitiert vom hindernisfreien Bauen?

Hindernisfreies Bauen ist teuer und bringt nur einer Handvoll Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer etwas? Von wegen! Hindernisfreies Bauen ist Bauen für alle. Folgende Personengruppen profitieren:

  • Rollstuhlfahrende
  • Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind
  • Menschen mit sensorischen Einschränkungen: Blinde und Gehörlose
  • Familien mit Kinderwagen
  • Personen mit Gepäck
  • Menschen, die von mobilitätseingeschränkten Personen besucht werden
  • Menschen, die zukünftig (insbesondere in fortschreitendem Alter) selbst mobilitätseingeschränkt sein werden

2. Wann kommen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für hindernisfreies Bauen zur Anwendung?

Nicht jeder Fensterersatz bringt gleich Auflagen für hindernisfreies Bauen mit sich. Ist das eigene Bauvorhaben betroffen oder nicht? Für eine grobe Orientierung helfen folgende Kriterien:

  • Vorschriften für hindernisfreies Bauen werden nur dann zum Thema, wenn ein Sanierungsvorhaben das Einreichen eines Baugesuchs erfordert. Dies ist in aller Regel der Fall, sobald Arbeiten an der Gebäudehülle vorgenommen werden.
  • Hindernisfreies Bauen kommt erst bei Mehrfamilienhäusern ab 2 bis 9 Wohnungen (Wohnungszahl abhängig vom Kanton) zur Anwendung. Es gibt auch kommunale Unterschiede, insbesondere, wenn Gemeinden mit strengeren Vorgaben die ambulante Gesundheitsversorgung verbessern wollen. Entscheidend sind immer die örtlichen Baugesetzgebungen.
  • Wenn bei Sanierungen die beiden oben genannten Kriterien erfüllt sind, stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit im jeweiligen Projekt. Dabei kommt die 20-%-5-%-Regel zum Einsatz: Als zumutbar gilt, wenn die Massnahmen nicht mit mehr als 20 % der Sanierungskosten oder 5 % des Gebäudeversicherungswerts zu Buche schlagen – wobei immer der niedrigere Wert massgebend ist. Ein nachträglicher Lifteinbau zum Beispiel überschreitet diesen Wert oftmals.

Da viele Menschen vom hindernisfreien Bauen profitieren, kann es angebracht sein, freiwillig – also ohne gesetzliche Verpflichtungen – entsprechende Vorgaben umzusetzen. So kann ganz nebenbei für eine höhere Flexibilität des Wohnraums gesorgt werden.

 

3. Wer sich mit hindernisfreier Architektur beschäftigt, stösst unter anderem auch auf die Begriffe anpassbar und rollstuhlgängig und barrierefrei. Inwiefern unterscheiden sich die Bezeichnungen?

Der Begriff hindernisfrei befindet sich bereits im Titel der SIA-Norm 500 «Hindernisfreie Bauten» und wird insbesondere im baugesetzlichen und planerischen Kontext verwendet. Der Begriff rollstuhlgängig wird hingegen als Marketingbegriff auf Immobilienportalen verwendet. Hindernisfrei nach SIA 500 ist definiert, nicht jedoch rollstuhlgängig. «Mit dem Begriff rollstuhlgängig wird manchmal Schindluder betrieben, insbesondere beim Verkauf von Wohneigentum», meint Remo Petri von Procap. Die Selbsthilfeorganisation definiert zwar sechs Minimalanforderungen (vgl. unten) für rollstuhlgängige Wohnungen – das heisst aber nicht, dass diese immer erfüllt sind, wenn auf Immobilienportalen eine Wohnung als rollstuhlgängig ausgezeichnet ist.

 

Der Begriff anpassbar rückt ein zusätzliches Thema ins Zentrum: Weder rollstuhlgängige noch hindernisfreie Wohnungen sind ohne individuelle Anpassungen für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer bewohnbar. Das ist aber auch gar nicht die Idee: Viel mehr geht es bei der hindernisfreien Architektur darum, Wohnraum so zu gestalten, dass er nachträglich mit vergleichsweise kleinem Aufwand an die persönlichen Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Menschen angepasst werden kann.

 

Mit dem Ausdruck barrierefrei wird die uneingeschränkte Zugänglichkeit eines Produktes, einer Dienstleistung oder einer Einrichtung beschrieben, unabhängig von einer möglichen Behinderung oder Erkrankung. Barrierefrei ist deshalb allgemeiner als die drei oben besprochenen Begriffe: Er hat nicht nur die Mobilität im Fokus. So gibt es zum Beispiel auch die barrierefreie Kommunikation: Texte in Leichter Sprache, Gebärdensprachvideos und klar strukturierte sowie farblich optimal abgestimmte Websites gehören unter anderem dazu. Die nach der Behindertengleichstellungsverordnung (BehiV) beschwerde- und klageberechtigten Behindertenorganisationen – darunter Procap – lehnen die Verwendung dieses Begriffes im Wohnen ab.

 

4. Welche Minimalanforderungen bestehen?

Wenn eine Wohnung für mobilitätseingeschränkte Menschen bewohnbar werden soll, muss oft eine Badewanne durch eine schwellenlose Dusche ersetzt oder eine Küche angepasst werden. Damit eine Wohnung auf Menschen mit Handicap ausgerichtet werden kann, muss sie laut Procap sechs Minimalanforderungen erfüllen (vgl. auch das Informationsblatt unter «Instrumente und Links»). Diese betreffen folgende Bereiche:

  • Zugänge
  • Liftgrösse
  • Niveauunterschiede
  • Korridorbreite
  • Türbreite
  • Raumgrösse von WC, Bad und Küche

5. Weshalb macht es oft Sinn, auch ohne gesetzliche Verpflichtung hindernisfrei zu sanieren?

Unter gewissen Umständen, zum Beispiel bei Unterhaltsarbeiten, die nicht baubewilligungspflichtig sind, kann es Sinn machen, freiwillig Massnahmen zu ergreifen. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Eventuell möchten die Vermieterin oder der Vermieter im Alter selbst in eine der Wohnungen einziehen.
  • Ältere Menschen ab ca. 50 Jahren, die noch 20 Jahre und länger in der Wohnung bleiben möchten, sind gegebenenfalls ein wichtiges Zielpublikum für Vermieterinnen und Vermieter.
  • Bei hindernisfreien Wohnungen kommt es in der Regel weniger häufig zu Wechseln auf Seiten der Mietenden, was betriebliche Vorteile mit sich bringt.

Zu beachten ist auch, dass bei einer frühzeitigen und umsichtigen Planung viele Massnahmen ohne oder nur mit geringen Mehrkosten umgesetzt werden können. Wenn beispielsweise Fenster ersetzt werden, ist es nicht oder kaum kostspieliger, bei dieser Gelegenheit den Zugang auf den Balkon hindernisfrei zu gestalten, indem Fenster mit Rollstuhlschwellen nach SIA 500 eingebaut werden. Hindernisfreies Bauen bedeutet manchmal aber auch Kompromisse: Es kann vorkommen, dass die Wohnungsgrundrisse einer Liegenschaft nur schwer mit einem nachträglichen Lifteinbau vereinbar sind. Wenn zum Beispiel auf jedem Stockwerk ein vollwertiges Zimmer – und nicht nur das Reduit – dem Liftschacht geopfert werden müsste. Das heisst aber noch lange nicht, dass sich dann gar nichts machen lässt: Wenn der Hauszugang hindernisfrei umgestaltet wird, können oft immerhin die Erdgeschosswohnungen für mobilitätseingeschränkte Personen erschlossen werden.

 

6. Welche Bedürfnisse haben Menschen mit einer Gehbehinderung während einer Sanierung (im vermieteten Zustand)?

Zusätzlich zu den Herausforderungen, die mit jeder energetischen Sanierung einhergehen, können solche Sanierungen für Menschen mit einer Gehbehinderung zu zusätzlichen Schwierigkeiten führen, was in die Planung miteinbezogen werden muss. So kann es etwa problematisch sein, wenn bei Sanierungsarbeiten der Lift über Tage oder Wochen ausfällt. Dann muss für gehbehinderte Personen eine Lösung her, meistens in Form einer alternativen Unterkunft für die entsprechende Zeit.

Instrumente und Links
Gesetze und Vorschriften Übersicht über kantonale und nationale Baugesetzgebungen von Procap
Wohnung anpassen Informationsseite von Procap